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>> Made in Germany

15/06/2014

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„Made in Germany“ Erfunden hat es jedenfalls kein Deutscher – und als es 1887 zum ersten Mal auf deutschen Produkten prangt, ist es auch ganz gewiss nicht als Ausdruck herausragender Qualität gedacht. Denn zu Anfang der Industrialisierung gelten die Erzeugnisse des Spätzünders Deutschland als billig, schlecht und wenig haltbar. Davon kann man sich etwa auf den Weltausstellungen überzeugen, die seit 1851 alle paar Jahre stattfinden: Über die deutschen Pavillons rümpft das Publikum gern die Nase. Einzig mit traditionsreichen Handwerksprodukten kann Deutschland punkten: mit Musikinstrumenten etwa, mit Holzspielzeug aus dem Erzgebirge oder Kuckucksuhren aus dem Schwarzwald.

In der Zeit der Industriellen Revolution im 19. Jahrhundert waren die Briten aufgrund der immens wachsenden Produktionsmöglichkeiten führend, wenn es um neue Erfindungen ging. Deutschland hinkte hinterher und versuchte, über Spionage an Ideen zu kommen. Um billige Kopien aus Deutschland zu „brandmarken“, führten die Briten das Ramschsiegel „Made in Germany“ ein – doch dieses sollte einen wundersamen Imagewechsel erleben.

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Am 17. Oktober 2013 hat sich der Binnenmarktausschuss im Europäischen Parlament dafür ausgesprochen, Hersteller und Importeure von Produkten zur Angabe des Herkunftslandes zu verpflichten. Sie sollen sich dabei an den EU-Zollregeln orientieren; dies dürfte es vielen deutschen Unternehmen erschweren oder unmöglich machen, teilweise im Ausland gefertigte Produkte noch als „Made in Germany“ zu verkaufen.

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Die EU-Kommission erwägt, den Zollkodex zu ändern. Dann wäre der größte wertsteigernde Teil des Herstellungsprozesses entscheidend – und der liegt bei vielen „Made in Germany“-Produkten zum Beispiel in China. In Kraft treten kann die geplante Änderung, wenn sich EU-Kommission und Europaparlament auf eine gemeinsame Position geeinigt haben. Die Hersteller begründen die Verwendung des Gütesiegels „Made in Germany“ bei Produkten, die ganz oder teilweise im Ausland gefertigt werden mit Forschung, Design und Qualitätssicherung, die in Deutschland angesiedelt sind und deutschen Werten entsprechen.

125 Jahre danach gibt es die Herkunftsbezeichnung „Made in Germany“ noch immer – als weithin bekanntes Gütesiegel. Doch der Blick zurück in die Zeit der Industriellen Revolution zeigt einen bemerkenswerten Imagewandel. Denn Anfang des 19. Jahrhunderts brummten die Fabriken und Fertigungshallen in Großbritannien, die neuen Möglichkeiten und die unbegrenzten Dienstzeiten der Arbeiter ließen neue Erfindungen wie Pilze aus dem Boden schießen.

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Ganz anders war die Situation in Deutschland, wo von Industrialisierung noch keine Spur war. Darum machten sich Industriespione auf den Weg nach England, um sich dortiges Know-how unter den Nagel zu reißen, um es in Deutschland in den eigenen Fabriken umgehend anwenden zu können. Etliche deutsche Unternehmen schickten Mitarbeiter auf „Studienreise“, wie es offiziell hieß.

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Zurück in Deutschland brachten die Studienreisenden ihr Wissen gleich in ihre Fabriken, wo die kopierten Konzepte in zweitklassige Ware, die zu Billigpreisen auf den Markt geworfen wurde, ergingen. Schnell überlauerten die Briten die zirkulierenden Ramschimitate und verpassten den Deutschen ein entsprechendes Image. Und ist der Ruf ruiniert, lebt sich’s gänzlich ungeniert: Sogar namentlich gekennzeichnete Markenprodukte wurden kopiert. Anfänglich lediglich mit Hohn belegt, schlug das Stimmungsbild gegen die Deutschen bald auf Empörung um.

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Die Briten führten ein Siegel ein, das aus Deutschland importierte Produkte als ebensolche kennzeichnete – der Stempel „Made in Germany“ haftete in der Folge auf Billigimitaten aus Deutschland. Dem zugrunde lag der 1887 vom englischen Parlament beschlossene „Merchandise Marks Act“. Dieser schrieb vor, dass auf Waren unmissverständlich das Herkunftsland anzugeben sei. Sogar bekannte Stimmen aus Deutschland kritisierten die eigenen Produkte, als „billig“ und „schlecht“ qualifizierte sie der bekannte deutsche Ingenieur Franz Reuleaux ab.

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Aufstieg zum Gütesiegel

Doch die Abneigung der Briten und die negative Bestandsaufnahme in den eigenen Reihen riefen eine veränderte Dynamik hervor. Die interne und externe Kritik wirkte beflügelnd, viele Fabriken starteten eine Qualitätsoffensive, verbesserten das Preis-Leistungs-Verhältnis. Bald waren die Produkte jenen aus Großbritannien ebenbürtig.

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Somit wandelte sich „Made in Germany“ bald zu einem Gütesiegel – der von den Briten als Negativsiegel gedachte Schriftzug bewirkte auf einen Schlag das Gegenteil. Denn die deutschen Waren standen den britischen in Sachen Qualität um nichts nach, noch dazu waren sie teils deutlich günstiger. Deutschland konnte noch billiger produzieren als der Konkurrent, schließlich existierten dort noch keine Gewerkschaften. In Großbritannien waren diese bereits seit 1872 staatlich anerkannt.

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Aufstieg zu Marktführern

Die Qualitätsoffensive verschaffte vielen Produkten zu einem Weg in den britischen Binnenmarkt, zwischen 1883 und 1893 stieg der Gesamtwert der von Deutschland nach England exportierten Waren um ganze 30 Prozent. Bald fanden sich heute noch existierende Produkte in den Regalen Londons und New Yorks: Marken wie Aspirin, Faber-Castell und Märklin stiegen zu unangefochtenen Marktführern auf – alle mit dem Siegel „Made in Germany“ versehen.

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Bis heute ist „Made in Germany“ kein geschütztes Qualitätssiegel, das nur nach aufwendigen behördlichen Prüfverfahren vergeben wird wie etwa der „Blaue Engel“ für besonders umweltfreundliche Produkte. In der Vergangenheit hat das immer wieder zu Streit geführt: So entschied etwa das Oberlandesgericht Stuttgart 1995 mit Verweis auf das Wettbewerbsrecht, dass Produkte „Made in Germany“ auch tatsächlich in Deutschland gefertigt sein müssen – zumindest größtenteils. Denn im Zuge der Globalisierung haben viele deutsche Traditionsmarken ihre Produktion längst in Billiglohnländer ausgelagert, wollen aber vom Klang des Qualitätslabels weiter profitieren.

Kein europäisches Land leidet heute so sehr unter Produktpiraterie wie Deutschland, kein Schriftzug wird dabei so häufig kopiert wie „Made in Germany„. Vielleicht ein Stück ausgleichende Gerechtigkeit – schließlich hat sich einst auch Deutschland mit Tricksen, Täuschen und Kopieren auf dem Weltmarkt hochgearbeitet.

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