>> Ein Kaufhaus für Bozen _____________________
Bozen ist wohl eine der einzigen Landeshauptstädte die über kein Einkaufszentrum oder Kaufhaus verfügen. Was andernorts als notwendige und selbstverständliche Infrastuktur angesehen wird, wurde hierzulande seit Jahrzehnten als Teufelswerk für eine werteverfallene konsumgeile Gesellschaft gesehen. Südtirol wurde von Politik und einer kleinen aber mächtigen Kaufleutelobby krampfhaft davor geschützt – bis heute. Nur multinationale Konzerne würden davon profitieren, die Kleingliedrigkeit der alteingesessenen Bozner Geschäfte sollte verteidigt werden. Der Kampf David gegen den vermeintlichen Goliath werde mit Inbrunst gefochten. Mit Erfolg? Nun, es gibt zwar immer noch kein Kaufhaus, doch wie schaut es in der stolzen Einkaufsmeile zwischen Lauben und Museumstrasse wirklich aus? Traditionsreiche Läden und Geschäfte wurden konsequent, nach und nach von Billigmodeketten verdrängt – schließlich gab und gibt es für diese Franchising Unternehmen keine sinnvollen, alternativen Standorte. Egal ob Footlocker, Tally Weijl, Benetton oder Intimissimi. Von dem was eigentlich geschüzt hätte werden sollen ist kaum etwas übrig geblieben. Ganz im Gegenteil, es sind nicht nur die Läden verschwunden, es hat sich auch das Einkaufsverhalten der Bevölkerung geändert. Heute fährt man kurzerhand nach Innsbruck oder Trient, Rovereto oder Affi um „vernünftig zu Shoppen“. Mit dem Argument mehr Auswahl zu kleineren Preisen geben allein in Innsbruck Südtiroler jährlich 500 Mio. Euro aus.
Soll nun alles anders werden? Ein großes innerstädtisches Kaufhaus mit internationalen Marken, ein Hotel, Wohnungen und Büros, einen unterirdischen Busbahnhof und eine zusammengeschlossene Großparkgarage: Das alles will der Tiroler Investor René Benko in Bozen innerhalb von drei Jahren bauen. Nachdem er dieses Vorhaben am Dienstag der Bozner Stadtregierung präsentiert hat, zeigte er am Nachmittag vor Journalisten seine Ideen für eine „Stadterneuerung“ zwischen der historischen Altstadt und dem Bahnhof in Bozen. Der Entwurf sei mit dem städtebaulichen Masterplan Bozens sowie mit den Überlegungen zur Bebauung des Projekts Neues Bahnhofsareal abgestimmt, erklärte Benko.
Die Fakten: 180 Mio. Euro will Benkos Signa investieren, das Shoppingcenter soll 115.000 qm groß werden und 700 Jobs schaffen. Über Details und das weitere Prozedere (Genehmigungen) sprach Benko nicht – es gehe nun an die „Detailplanung“. Der Entwurf sei mit dem städtebaulichen Masterplan abgestimmt. Ziel sei es, die Stadt zu beleben, Zentrum und Bahnhofsgegend sollten zusammenwachsen.
Optisch erinnert das Projekt „Kaufhaus Bozen“ stark an sein erklärtes Vorbild, das Kaufhaus Tyrol in Innsbruck. Dieses beschrieb Benko den Südtirolern als „Vorzeigeprojekt“. Im Rahmen der ICSC European Conference 2010 wurde in Paris dem Kaufhaus Tyrol der Titel „Bestes Einkaufszentrum Europas“ verliehen. Der ICSC Award ist kein Architekturpreis: als Kriterien gelten neben Architektur vor allem die Qualität der Entwicklung und Umsetzung des Projektes, der Mietermix, das Management, die Nachhaltigkeit, Marketing und Kommunikation sowie Erfolg bei den Handelsumsätzen des Shoppingcenters und dessen Akzeptanz bei den Kunden. Geplant hat die Bozner Abwandlung erneut der Londoner Stararchitekt David Chipperfield. Er zeigte gestern in Bozen, wie auf sechs Etagen Geschäfte, ein Hotel, Büros und Wohnungen entstehen sollen. Benko buhlte am Dienstag außerdem um die Teilnahme an einem Verkehrsgroßprojekt: Der Tiroler will auch bei der geplanten Gesamterneuerung des Bahnhofs mitmischen.
Mögliche Widerstände gegen sein Einkaufszentrum sieht er betont gelassen. Solche gebe es bei jedem Projekt, meinte er: „Wir sind Diskussionen gewohnt.“ Freilich: In Südtirol ticken die Uhren beim Thema Shoppingcenter seit jeher anders als in Österreich. Nach jahrelangen Diskussionen rang man sich erst 2011 zu einem „Landeseinkaufszentrum“ am Stadtrand durch – dem „20twenty“. Dieses sieht Benko kritisch: „An der Peripherie hilft es Bozen als Einkaufsstadt nicht.“ Er versicherte, dass die Politik seinem Projekt „sehr positiv“ gegenüberstehe.
Für Tirols Wirtschaft freilich bedeutet der Bau wohl einen heftigen Angriff, lassen Südtiroler Einkaufstouristen doch pro Jahr rund 500 Mio. Euro in Tirol – vor allem in den großen Einkaufszentren wie etwa dem dez. Benko bezifferte das Einzugsgebiet für das „Kaufhaus Bozen“ zwischen Brenner und Affi mit einer halben Million Menschen. Im historischen Altstadt-Palais Menz, das Benko, wie berichtet, um 6,2 Mio. Euro gekauft hat, soll ein „Multibrand-Store“ entstehen – ein Geschäft über mehrere Etagen, in dem verschiedene Marken vertreten sein sollen.
Die Unternehmensgruppe gehört bereits seit geraumer Zeit zu den großen privaten Immobilieneigentümer in den Innenstädten von Wien und Innsbruck. Im Dezember 2012 erwarb der Tiroler Investor Rene Benko mit seinem Immobilienunternehmen Signa für schlappe 1,1 Milliarden Euro das Berliner Luxuskaufhaus KaDeWe und weitere 16 von Karstadt betriebene Warenhäuser. Alleine für das KaDeWe sollen 500 Millionen Euro gezahlt worden sein. Das KaDeWe empfängt mit seinen 60.000 Quadratmetern täglich bis zu 180.000 Kunden aus aller Welt und ist das größte Kaufhaus Kontinentaleuropas. Der 1907 eröffnete und zuletzt 2004 umgebaute Einkaufstempel erstreckt sich über sieben Etagen. Betreiber bleibt Karstadt. Mit dem Kauf wurde Signa auf einen Schlag zu einem der größten Unternehmen für innerstädtische Kaufhäuser in Deutschland. „Der Kauf bedeutet einen weiteren Meilenstein in der Unternehmensgeschichte“, hieß es in der Aussendung des Unternehmens. Bereits seit 2010 ist die Signa Holding stolzer Besitzer eines der attraktivsten deutschen Neubau-Büroimmobilien Deutschlands. Für rund 230 Millionen Euro erwarb die Düsseldorfer SIGNA Property Funds die neue Konzern-Zentrale der Deutschen Börse AG in Eschborn bei Frankfurt. Bei der Kaufsumme handelte es sich um den zweithöchsten Immobilien-Abschluss in Deutschland im Jahr 2010.
Sehr richtige Analyse des Einzelhandelssituation. Allerdings ist der Chipperfield-Entwurf einigermaßen retro, erinnert etwas an Coop Himmel(l)bau. Diese Shopping Mall könnte überall stehen und geht überhaupt nicht auf die Besonderheiten der Umgebung, Landschaft und Geschichte von Bozen ein. Wenn nicht auf die Besonderheiten der Stadt eingegangen wird, dann sollte es zumindest ein wirklich avantgardistischer Entwurf a la Kaplicky sein.