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>> Die Schneemacher ________________

09/12/2011

»Schneeflocken sind Buchstaben, die uns der Himmel schickt.« | 75 Jahre Kunstschnee

Viel zu warm und von Schneefall keine Spur. Das Wetter in den vergangenen Wochen machte den Tiroler Skigebieten deutlich zu schaffen. Jetzt ist der lang ersehnte Wetterumschwung da. Seit Montag laufen die Schneekanonen auf Hochtouren.

„Früher war es den Leuten fast egal, wenn es zu wenig Schnee zum Skifahren gab. Dann gingen sie im Urlaub eben spazieren. Heute ist das anders. Wenn die Gäste nicht skifahren können, kommen sie erst gar nicht,“ beschreibt Erich Gummerer, Gründungsmitglied von Technoalpin, seine Erfahrungen mit dem Wintertourismus.

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Viele Nord- und Südtiroler Skigebiete präsentierten sich bis vor einigen Tagen mit braunen Hängen soweit das Auge reicht. An der Bergstation wehte ein mildes Lüftchen. Von Schnee und Kälte fehlte jede Spur. Die Schneekanonen standen zwar bereit, doch solange es nicht minus fünf Grad hat, können die Schneekanonen keinen qualitativ guten Schnee produzieren. Man könne zwar schon bei minus zwei Grad die Schneekanonen laufen lassen, ein solcher Schnee enthalte aber sehr viel Wasser, erklärt der Kunstschnee-Techniker Alexander Schweigl im Skigebiet Meran 2000.

Klimawandel hin oder her, technische Beschneiung ist zur Voraussetzung für den Wintertourismus an sich geworden. Und mit der technischen Beschneiung stiegen auch die Ansprüche der Skifahrer. Die Piste muss immer perfekt sein – egal ob es genügend Naturschnee gibt oder nicht.

Schnee ist nicht einfach nur gefrohrenes Wasser. Wenn die Temperatur in einer Wolke unter den Gefrierpunkt sinkt, dann beginnt Luftfeuchtigkeit sich an winzige Staub- oder Rußpartikel anzulagern und auszukristallisieren. Es sind also drei Faktoren notwendig: die Temperatur, die Feuchtigkeit und die Kondensationskerne. Die Schneekristalle “wachsen” dabei immer in sechseckiger Form. Das liegt an den Wassermolekülen, die eben nur im Winkel von 60° bzw. 120° aneinander andocken.

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Und obwohl es also ganz klare “Regeln” für die Kristallbildung gibt, ist eigentlich jedes ein Unikat. (Fast) kein Schneekristall gleicht dem anderen. Denn jedes Schneekristall hat seine eigene Geschichte: das beginnt eben mit der Anlagerung von Luftfeuchtigkeit am jeweiligen Kondensationskern. Je nach Temperatur nehmen die Kristalle dabei unterschiedliche Formen an:

  • von 0 bis -3°C dünne Plättchen, teilw. Sterne (Dendrite)
  • -5 bis -8°C Prismen
  • -12 bis -16°C Schneesterne
  • unter -25°C hohle Prismen

>> Snowflakes in Photographs |  1902 von Wilson Bentley

Als Pionier der Schneekristallforschung gilt übrigens Wilson Bentley, ein Farmer aus Vermont/USA. Ihm gelang am 15. Januar 1885 das erste Photo eines Schneekristalls durch ein Mikroskop. Von da an ließ Bentley die Faszination Schnee nicht mehr los. Er machte über 5000 Photos von Schneekristallen und stellte fest, daß alle unterschiedlich waren.

75 Jahre Kunstschnee

Am 12 März 1936 schaffte es der japanische Experimentalphysiker Ukichiro Nakaya erstmals eine Scheeflocke künstlich herzustellen. Nakaya begann in den 30er Jahren an der Universität Hokkaido, einzelne Flocken unterm Mikroskop zu untersuchen. 3000 Exemplare beschrieb, fotografierte und systematisierte der Forscher. Bei der Arbeit erfasste ihn zunehmend Begeisterung über die Schönheit seiner Forschungsobjekte, und er notierte: »Schneeflocken sind Buchstaben, die uns der Himmel schickt.«

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Doch das Geschenk des Himmels genügte ihm nicht. Nakaya wusste, dass Schneeflocken entstehen können, wenn Wasserdampf plötzlich abgekühlt wird. Und er entdeckte, dass die Wassertröpfchen am besten auf den Spitzen der Haare eines Kaninchenfells kristallisieren. Am besagten 12. März 1936 gelang es ihm als erstem Menschen und nach vielen Fehlversuchen, auf einer Haarspitze eine Schneeflocke zu züchten.

>> Das Wachsen einer Schneeflocke unterm Mikroskop im Zeitraffer [Video]

20Jahre Technoalpin | Die Schneemacher aus Südtirol

Nakayas Grundlagenforschung folgte in den fünfziger Jahren in den USA die technische Anwendung. Die Schneekanone wurde erfunden, um von warmen Wintern heimgesuchte Skigebiete mit Kunstschnee zu versorgen.

Anfang der 80er waren Georg Eisath und Walter Rieder Betriebsleiter im Skigebiet Obereggen und waren als solche sehr interessiert daran unabhängig von den klimatischen Bedingungen zu sein. Daher war ihr Interesse groß, als 1983 der erste Schneeerzeuger aus den USA in Obereggen eintraf. Das Ergebnis war ernüchternd. „Die Maschine hat zwar funktioniert, sie war allerdings nicht für unsere klimatischen Verhältnisse im Randtemperaturbereich geeignet,“ berichtet Walter Rieder. Die beiden findigen Betriebsleiter machten sich daran einen eigenen Schneeerzeuger zu bauen. Verwendet wurden dafür handelsübliche Bauteile. „Georg musste seinen Vater überreden, dass er uns seinen Heulüfter zur Verfügung stellt. Als Düsen haben wir Sprühdüsen aus der Landwirtschaft verwendet,“ erinnert sich Rieder. Gemeinsam mit dem Dorfschmied machten sich die beiden daran die Maschine zusammen zu bauen. „Irgendwann hatten wir es tatsächlich geschafft. Unser erster Prototyp erreichte sogar annähernd die Qualität der Maschine aus Amerika,“ so Rieder. Die verantwortlichen in Obereggen glaubten an das Potential der beiden Tüftler und kauften 1984 die Maschine.

Eisath und Rieder arbeiteten weiter an einem optimalen Schneeerzeuger. „Vor das größte Problem stellte uns die Turbine. Mit unseren Turbinen Marke Eigenbau erreichten wir keine optimale Windströmung,“ berichtet Rieder. Also wandten sich die beiden an einen professionellen Hersteller. Das brachte die Entwicklung einen großen Schritt voran.

Schon zu Beginn stand die Forschung & Entwicklung im Fokus, die Schneeerzeuger wurden stetig weiterentwickelt. 1990 wurde schließlich das Erfolgsmodell Latemar M90 auf den Markt gebracht. Die Verkaufszahlen stiegen weiter. Die beiden Techniker Eisath und Rieder holten den Kaufmann Erich Gummerer in die Firma. Allen dreien war klar, dass auf diesem Nischenmarkt nur bestehen kann, wer weltweit agiert. Sie gründeten 1990 gemeinsam die Firma TechnoAlpin GmbH und bauten in den folgenden Jahren ein weltweites Netzwerk auf.

Zu Beginn waren die Schneeerzeuger der snow experts noch graublau. Dass sich Gelb als Farbe durchgesetzt hat, verdankt TechnoAlpin dem Skigebietsbetreiber Wolfgang Schneider aus Seefeld, der schon Handelspartner der Firma WI.TE war. Seiner Ansicht nach funktionierten die Maschinen zwar gut, waren aber optisch nicht ansprechend. „Wolfgang Schneider hat uns gebeten ihm gelbe Maschinen zu liefern. Es machte für uns aber keinen Sinn in jedem Skigebiet Schneeerzeuger in einer anderen Farbe stehen zu haben.

Da die Farbe Gelb als Signalfarbe gut funktionierte, haben wir uns dazu entschlossen künftig alle Schneeerzeuger gelb zu machen,“ berichtet Walter Rieder. „Im Nachhinein betrachtet war das natürlich ein echter Glücksfall. Wir haben am Anfang versucht, die Maschinen so unauffällig wie möglich zu gestalten. Daher waren sie fast schon mausgrau. Heute sind wir sehr froh darüber, damals die gelbe Farbe gewählt zu haben. Das kam viel besser an. Einige Kunden haben sogar gemeint, die gelben Maschinen würden besser funktionieren als die grauen, obwohl sie identisch gebaut waren,“ schmunzelt Gummerer.

>> Technoalpin Headquarter Bozen | Architekt Roland Baldi (oben)

Der Wetterumschwung löste etwa in St. Anton am Arlberg Freudentänze aus. Seit Montag würden die 200 Schneekanonen auf Hochbetrieb arbeiten. Anfangs sei ein Teilbetrieb der Anlagen geplant, von Tag zu Tag würden aber weitere Lifte aufsperren, sagte Eva Steinlechner von den Arlberger Bergbahnen.

Auch Hochtouren laufen derzeit auch die Schneekanonen in der Skiwelt Wilder Kaiser. Wenn es drei kalte Tage gebe, könne man mit 1.000 Schneekanonen 120 Pistenkilometer komplett beschneien, sagte Walter Eisenmann von der Skiwelt Wilder Kaiser Brixental.

»Kunstschnee« – eigentlich ist es ein Unding, den Begriff sowohl für Nakayas Flocke als auch für das Gestöber aus der Kanone zu verwenden. Dazwischen liegen doch Welten! Die Naturschneeflocke und ebenso die Nakaya-Flocke sind in Ruhe gewachsen und deshalb oft berückend schöne Konstrukte aus zackigen Dendriten, hexagonalen Plättchen, Prismen und Nadeln – die Techno-Flocke dagegen ist nur ein flott gefrorenes, kompaktes Eiskügelchen. Von »technischem Schnee« spricht darum die Schneeforschung, wenn sie das Produkt der Schneekanone meint. Die Nakaya-Flocke dagegen gilt als »naturidentischer Schnee«.

Die Auswirkungen der Kunstschneeanlagen auf die Umwelt sind noch wenig erforscht. Wasser- und Energieverbrauch sind nicht unproblematisch. Die etwa 31000 Schneekanonen in Europa verbrauchen pro Jahr und pro Hektar etwa eine Million Liter Wasser und 260.000 MWh Strom. Somit verbrauchen die Schneekanonen Europas jährlich soviel Energie wie zehn Städte von 150.000 Einwohnern und zehnmal soviel Wasser wie eine Großstadt wie Hamburg. Dieses Wasser fehlt während den Wintermonaten in den Gewässern: Forscher haben festgestellt, dass seit Einführung der Schneekanonen bis zu 70 Prozent weniger Wasser in Bächen und Flüssen der französischen Alpen fließt.

Wer sich seinen eigenen Schnee im Garten machen möchte hier eine Anleitung

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