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>> 109sek | Psychologie & Typografie ____

07/04/2010

Sonderausstellung „ À la carte! Die Geheimnisse der Speisekarte “  | Touriseum

Die ausgewählten Menükarten der aktuellen Sonderausstellung „ À la carte! Die Geheimnisse der Speisekarte “ im Touriseum sollen nicht nur wegen der herrlichen Speisenfolgen und der aufwendigen künstlerischen Gestaltung das Wasser im Munde zusammen laufen lassen, sie sollen auch anregen, die Menükarten aus ungewohnten Blickwinkeln zu lesen. Speisekarten sind nämlich auch Kulturgeschichte in Reinform, erzählen sie doch vom Land, von Ess- und Feierbräuchen, Gewohnheiten, von Ereignissen, Genüssen und sind nicht zuletzt Visitenkarten der Hotels und des Landes. >> Der Blog zur Ausstellung

Menükarten werden in der Regel nicht gelesen, sondern vielmehr "gescannt"

Laut einer Studie des führenden Markt und Meinungsforschungsunternehmens Gallup verbringt der durchschnittliche Restaurantgast allerdings nur ganze 109 Sekunden mit dem Lesen der Speisekarte. Dies ist das Zeitfenster das dem Gastronomen bleibt seine Botschaft an den Gast zu bringen. Die Zeit die dieser benötigt eine Speisekarte zu lesen und seine Entscheidung zu treffen muß dementsprechend geschickt bei der typografischen Gestaltung der Menükarte berücksichtigt werden.

The menue is the only piece of printed advertising that you are virtually 100 percent sure will be read by the guest. Once placed in the guest’s hand, it can directly influence not only what they will order, but ultimately how much they will spend.“ Dave Pasegic

William Poundstone, Autor des Bestsellers Priceless: The Myth of Fair Value (and How to Take Advantage of It) unterscheidet drei Kategorien von Gerichten auf der Karte: Stars sind für ihn beliebte, für den Wirt hoch profitable Speisen, für die der Gast gern mehr bezahlt, als es von den Warenkosten her nötig wäre. Die müssen nicht teuer sein. Dann gebe es Zugpferde – beliebte, aber ertragsarme Gerichte , weil sie zum Beispiel relativ aufwendig sind. Und schließlich Aushängeschilder: Die sind teuer, hoch profitabel und typisch für das Lokal. Gleich nach dem Aushängeschild stehe meist ein etwas billigeres, aber immer noch teures Gericht. Im Vergleich zum Aushängeschild komme das zweite dem Gast dann wie ein Schnäppchen vor.

Am Beispiel eines Ausschnittes der Speisekarte des bekannten New Yorker Restaurants Balthazar, ein beliebtes französisches Bistro gehobener Mittelklasse im Stadtteil Soho, soll hier eine kleine Analyse die Macht von Typografie in der Speisekartengestaltung verdeutlichen:

Speisekarte vergrößern [pdf] | Balthazar’s gesamte Speisekarten Sammlung

1. die Rechte obere Ecke

Dies ist der Top Fokuspunkt jeder Speisekarte, hierhin wandert das Auge ganz automatisch als erstes. Balthazar setzt hier seinen Magneten bzw. Eyecatcher und hebt seine verführerische, und vor allem teuere Meeresfrüchteplatte hervor. Im Allgemeinen sind Bilder von Speisen effektive Motivatoren zugleich sind sie jedoch ein Speisekarten Tabu – vor allem deshalb weil damit Assozationen zu billig Restaurants oder großen Fastfood Ketten heraufbeschworen werden. „Diese Illustration reizt jene Grenze aus, wie weit ein Restaurant dieses Kalibers gehen kann und ist lediglich dazu da, Aufmerksam auf die zwei teuersten Gerichte des Angebots zu lenken,“ sagt Poundstone

2. Das Aushängeschild, der Anker

Die zentrale Aufgabe dieses 115 $ Gerichtes –  übrigens das einzige 3stellige auf der Speisekarte – ist es, alles andere in seiner Nähe als relativ günstig erscheinen zu lassen.

3. Gleich nebenan

Für bloß 70$ für die kleinere Meeresfrüchteplatte „le Grand“ sieht selbige nach einem wahren Schnäppchen im Vergleich zu der „Le Balthazar“ aus – doch wie viel Essen man bekommt bleibt dabei offen. Eine wirklicher Vergleich der Portionen wird bewusst verwehrt, das Angebot erscheint vielmehr als großzügige Geste – ein Win-Win für das Restaurant.

4. In unmittelbarer Nähe

Die hoch profitablen Gerichte gruppieren sich rund um den “Anker”. Hier findet man nun weitere Meeresfrüchtegerichte zu – relativ – moderaten Preisen.

5. Listen sind Killer

Es ist ein großer Fehler Preise tabellenartig in übersichtlichen Spalten aufzulisten, „ der Restaurantgast folgt dieser von oben nach unten und wählt die günstigsten Gerichte“. Balthazar verzichtet auf seiner Menükarte diesbezüglich zumindest auf die Leithilfe welche mancherorts in Form von Linien oder Punkten das Gericht mit dem Preis verbindet und den Gästeblick vorzeichnet, ihn direkt zur Zahl leitet. Der Gastronomieberater Gregg Rapp rät seinen Kunden des weiteren Währungszeichen, Kommastriche und Dezimalzahlen wegzulassen…  „nicht, dass die Gäste keine Preise lesen könnten, doch die meisten lassen sich auch von jedem noch so subtilen Hinweis leiten den man anbietet.“

6. Die Box

Ein Kasten provoziert Aufmerksamkeit und, üblicherweise, Bestellungen. Je ausgefallener der Rahmen desto besser. Die Käsespezialitäten am Ende sind ein weiteres Aushängeschild, ein typischer und besonders profitabler Posten im Angebot.

7. Das Speisekarten Niemandsland

ist der Bereich der wenig profitablen Gerichte zu denen der durchschnittliche Gast am ehesten tendiert. In diesem Beispiel die sehr leicht übersehbaren Zugpferde,  und relativ günstigen Burger –  das einzige Gericht des Hauptspeisenangebotes [Entrees] dessen Preis nicht übersichtlich in der Preis Liste eigetragen ist, sondern direkt der Speisenbeschreibung folgt.

8.Portionierung

Das selbe Gericht in unterschiedlichen Portionsgrößen anzubieten ist ebenfalls eine profitable Verkaufsmethode. So wie in diesem Fall beim Steak Tartar und den Raviolis – da die tatsächliche Menge der Portion selten konkret angegeben wird ist man versucht die Normale Portion zu bestellen wo eigentlich die kleine Portion ebenfalls ausreichend wäre. So wäre etwa das in unseren Breiten bei Kindern beliebte „Kinderschnitzel“ nicht nur dem erwachsenen Geldbeutel, sondern auch dessen eigenen Verdauungsapparat zuträglicher.

Zuguterletzt noch ein Tipp des Authors der Wall Street Journal’s Tastings Kolumne : Bestellen sie nie den zweitbilligsten Wein auf der Weinkarte, Gastronomen wissen, daß seine Gäste vielfach genau diesen wählen um nicht als billig zu erscheinen – der günstigste ist verglichen dazu meißt die viel bessere Wahl.

„ À la carte! Die Geheimnisse der Speisekarte “ ist noch bis 15. November 2010 im Turiseum, dem Tourismusmuseum nebst den Gärten des Schloss Trauttmannsdorf zu sehen.

>> Der Blog zur Ausstellung

>> New York Times Artikel | Using Menu Psychology to Entice Diners

>> Menue Engineering

>> Menu Design

2 Kommentare leave one →
  1. 27/05/2010 09:55

    Toller Artikel, hat mir sehr gut gefallen. Es lohnt sich hier zu lesen.

Trackbacks

  1. Alexanders private Seite

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